Gletscherüberwachung vor Ort
Hochalpines Umweltlabor Vernagtferner
Das Einzugsgebiet der Pegelstation Vernagtferner stellt dank der im Gletschervorfeld und auf dem Gletscher installierten Messtechnik eine ausgezeichnete Basis für empirische Studien zu Problemen der modernen Gletscherforschung dar. Nur wenige Stationen weltweit verfügen über vergleichbare Voraussetzungen für präzise meteorologische, hydrologische, geodätische und geophysikalische Messungen in einer schwer zugänglichen hochalpinen Umgebung – und über ähnlich lange Zeitreihen.
Seit 1968 werden dort kontinuierlich Wetterdaten, u. a. Temperatur, Luftdruck, Niederschlag, Windgeschwindigkeit und Strahlungswerte, sowie seit 1973 der Wasserstand des Vernagtbaches aufgezeichnet. Auf dem Gletscher selbst werden Schneefall (Akkumulation) und Eisschmelze (Ablation) sowohl an einzelnen Punkten kontinuierlich als auch an verteilten Punkten in jährlichen Abständen gemessen. Daraus lässt sich die Massenbilanz des Gletschers bestimmen, also ob der Gletscher als Ganzes zu- oder abnimmt. In Abständen von 5 bis 10 Jahren wird die Gletschertopographie vermessen, um aus dem Vergleich zu vorherigen Messungen ebenfalls die Massenbilanz zu bestimmen. Dem gleichen Zweck dienen unter anderem die hydrologischen Messungen des Abflusses des Vernagtbaches. Dabei kann aus der Differenz zwischen Niederschlag, Verdunstung und Abfluss die Änderung des im Gletscher gespeicherten Wassers in Form von Eis bestimmt werden.
Die am Vernagtferner erhobenen Daten werden auch der größeren wissenschaftlichen Gemeinde in allgemein zugänglichen Datenbanken wie zum Beispiel PANGAEA, einem geowissenschaftlichen Datenarchiv des Alfred-Wegener-Instituts und des Zentrums für Marine Umweltwissenschaften, zur Verfügung gestellt. Die dort langzeitarchivierten Datensätze umfassen Daten zum Massenhaushalt des Vernagtferners, die hydrometeorologischen Daten des Einzugsgebiets Vernagtbach und alle weiteren Daten zur Geometrie des Gletschers samt historischen Aufnahmen.
Diese Daten dienen als Eingangsgrößen und als Basis der Validierung von Gletschermodellen, die sowohl den Massenhaushalt als auch die Eisdynamik und den Abfluss des Vernagtferners simulieren und sind Bestandteil von Analysen weltweiter Datensätze zur Klima-Gletscherentwicklung, zum Beispiel des World Glacier Monitoring Service.
Im Zuge der wissenschaftlichen Feldarbeiten werden bestehende Messverfahren und -instrumente modernisiert und auch immer wieder neue Verfahren eingesetzt. Die Forschungsarbeiten am Vernagtferner ermöglichen vergleichende Messungen und die Erprobung neuer Instrumente unter realen Bedingungen. Auf dieser Grundlage können Methoden und Verfahren entwickelt und eingehend geprüft werden, die dann auch in anderen Gletscherregionen erfolgreich eingesetzt werden.
Ein Beispiel hierfür ist insbesondere die gravimetrische Bestimmung der Massenbilanz. Während die glaziologische Methode (Akkumulation - Ablation) und die hydrologische Methode (Niederschlag - Abfluss - Verdunstung) den Massenhaushalt nur indirekt ermitteln, bestimmt die geodätische Methode eigentlich Volumen- und nicht Massenveränderungen aus der Differenz der Gletschertopographie zu verschiedenen Zeitpunkten. Die gravimetrische Methode der Massenbilanzbestimmung, die Messung von Schwereänderungen, ist hingegen eine echte Massenbilanzierung. Als vollkommen unabhängiges Messverfahren ist der gravimetrische Ansatz nicht nur geeignet, die gängigen Methoden der Massenbilanzierung zu validieren, sondern er liefert gerade durch den Vergleich von Volumen- und Massenveränderungen zusätzlich hilfreiche Informationen zur Entwicklung eines Gletschers, etwa zur Verdichtung der Schnee- zu Eismassen und zur Zerklüftung. In Kombination mit bodengestützten Radarmessungen oder seismischen Daten trägt die Gravimetrie auch zur Bestimmung der Gletscherdicke bei.