Massenbilanz des Vernagtferners
Die folgende Abbildung zeigt die Massenbilanz des Vernagtferners, aufsummiert seit dem Beginn der regelmäßigen Messungen im Jahr 1964.
Die Massenbilanz des Gletschers wird jedes Jahr auf Grundlage von Messungen des Schneezuwachses und der Eisablation während der Frühjahrs- und der Herbstbegehung bestimmt. Die Daten werden dem World Glacier Monitoring Service gemeldet und gemeinsam mit den Daten von mehr als 120 anderen Gletschern im Global Glacier Change Bulletin veröffentlicht. Der Vernagtferner ist einer von derzeit etwa 60 Referenzgletschern, deren lange und verlässliche Zeitreihen die Grundlage eines Beobachtungsnetzes in Unterstützung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen bilden.
Prinzipiell kann die Massenbilanz eines Gletschers mit dem Führen eines Girokontos verglichen werden: Die gesamte Schnee- und Eismasse des Gletschers am Anfang des Haushaltsjahres stellt den aktuellen „Haben“-Kontostand dar. Die Akkumulation entspricht der Summe der gesamten Jahreseinnahmen und wird positiv gezählt. Die Ablation entspricht dagegen der Summe der Ausgaben und besitzt ein negatives Vorzeichen. Das Vorzeichen des Saldos zwischen Ausgaben und Einnahmen bestimmt, ob der Gletscher an Masse zu- oder abgenommen hat. Entsprechend ändert sich die Gesamtmasse in Analogie zum neuen Kontostand. Allerdings gibt es bei einem Gletscher keinen Überziehungskredit. Hat der Kontostand Null erreicht, ist der Gletscher verschwunden.
Massenbilanzstreifen
In Analogie zu dem Klimastreifen (engl. Warming Stripes, siehe auch hier), die die Temperaturänderungen seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen darstellen, sind hier die Massenbilanzstreifen seit 1964 für den Vernagtferner zu sehen. Die Streifen sollen - ganz ohne Zahlen - die Veränderungen auf den ersten Blick sichtbar machen. Blau steht für eine Massenzunahme, rot für einen Massenverlust. Das Extremjahr 2022 gibt dabei die Farbskalierung vor.
Massenbilanzen 1964 - 2023
Die wesentlichen Kenngrößen des Massenhaushaltes des Vernagtferners für die Haushaltsjahre 1964/1965 bis 2022/2023 können der folgenden Tabelle entnommen werden. Die Spalte Massenbilanz ist farbcodiert, wobei auch hier Blautöne einer positiven Massenbilanz (Massenzunahme) und Rottöne einer negativen Massenbilanz (Massenverlust) entsprechen. Zum Sortieren auf die entsprechende Spaltenüberschrift klicken.
Jahr | Fläche [km2] | ELA | AAR | Bilanz [mm] | Daten | Karte |
---|---|---|---|---|---|---|
1964/65 | 9,52 | 2946 | 92 | 751 | ||
1965/66 | 9,52 | 2940 | 93 | 632 | ||
1966/67 | 9,52 | 3015 | 70 | 83 | ||
1967/68 | 9,52 | 2995 | 86 | 301 | ||
1968/69 | 9,46 | 3153 | 56 | -307 | ||
1969/70 | 9,46 | 3113 | 61 | -224 | ||
1970/71 | 9,46 | 3155 | 39 | -424 | ||
1971/72 | 9,46 | 3028 | 79 | 137 | ||
1972/73 | 9,30 | 3185 | 43 | -460 | ||
1973/74 | 9,30 | 2999 | 81 | 230 | ||
1974/75 | 9,30 | 3025 | 80 | 171 | ||
1975/76 | 9,30 | 3036 | 75 | 50 | ||
1976/77 | 9,30 | 2984 | 88 | 352 | ||
1977/78 | 9,55 | 3004 | 85 | 288 | ||
1978/79 | 9,55 | 3059 | 73 | 44 | ||
1979/80 | 9,55 | 3027 | 77 | 140 | ||
1980/81 | 9,55 | 3101 | 72 | -55 | ||
1981/82 | 9,35 | 3418 | 24 | -845 | ||
1982/83 | 9,35 | 3304 | 25 | -537 | ||
1983/84 | 9,34 | 3063 | 71 | 20 | ||
1984/85 | 9,34 | 3102 | 61 | -112 | ||
1985/86 | 9,34 | 3291 | 19 | -808 | ||
1986/87 | 9,34 | 3143 | 55 | -290 | ||
1987/88 | 9,09 | 3230 | 39 | -497 | ||
1988/89 | 9,09 | 3170 | 50 | -312 | ||
1989/90 | 9,09 | 3283 | 32 | -568 | ||
1990/91 | 9,09 | 3630 + | 8 | -1079 | ||
1991/92 | 9,09 | 3268 | 22 | -858 | ||
1992/93 | 9,09 | 3225 | 37 | -472 | ||
1993/94 | 9,09 | 3630 + | 22 | -1028 | ||
1994/95 | 9,09 | 3226 | 39 | -398 | ||
1995/96 | 9,09 | 3225 | 40 | -413 | ||
1996/97 | 9,07* | 3220 | 41 | -487 | ||
1997/98 | 9,07 | 3280 | 30 | -1003 | ||
1998/99 | 8,68 | 3097 | 56 | -108 | ||
1999/00 | 8,68 | 3123 | 48 | -287 | ||
2000/01 | 8,68 | 3128 | 47 | -224 | ||
2001/02 | 8,68 | 3122 | 53 | -266 | ||
2002/03 | 8,53 | 3600 + | 0 | -2133 | ||
2003/04 | 8,36 | 3205 | 34 | -407 | ||
2004/05 | 8,36 | 3224 | 40 | -523 | ||
2005/06 | 8,36 | 3261 | 25 | -882 | ||
2006/07 | 8,17 | 3281 | 19 | -966 | ||
2007/08 | 8,17 | 3289 | 17 | -843 | ||
2008/09 | 8,17 | 3347 | 14 | -959 | ||
2009/10 | 7,92 | 3246 | 23 | -680 | ||
2010/11 | 7,92 | 3261 | 19 | -955 | ||
2011/12 | 7,55 | 3280 | 15 | -1155 | ||
2012/13 | 7,55 | 3148 | 35 | -425 | ||
2013/14 | 7,36 | 3127 | 57 | -144 | ||
2014/15 | 7,31 | 3241 | 15 | -1268 | ||
2015/16 | 7,16 | 3236 | 20 | -781 | ||
2016/17 | 7,08 | 3293 | 12 | -1335 | ||
2017/18 | 6,90 | 3306 | 9 | -1419 | ||
2018/19 | 6,90 | 3344 | 23 | -929 | ||
2019/20 | 6,85 | 3275 | 24 | -824 | ||
2020/21 | 6,70 | 3248 | 24 | -593 | ||
2021/22 | 6,60 | 3600+ | 0 | -3249 | ||
2022/23 | 6,27 | 3600+ | 0 | -1983 |
Neben den wesentlichen Kenngrößen des Massenhaushaltes enthält die Tabelle die der Analyse zugrunde liegende Gesamtfläche des Gletschers, die Höhenlage der Gleichgewichtslinie (ELA), den prozentualen Anteil des Akkumulationsgebietes an der Gesamtfläche (AAR) und die spezifische Nettomassenbilanz in mm Wasseräquivalent. In der Spalte Daten sind die Berechnungen für die einzelnen Gletscherteile verlinkt. Eine Legende dazu befindet sich hier. Die Analysen stammen von Oskar Reinwarth, Ludwig Braun und Markus Weber. Seit dem Haushaltsjahr 2003/04 werden die Analysen durch Christoph Mayer durchgeführt.
Zur Verdeutlichung der Entwicklung über den Beobachtungszeitraum sind die Angaben der spezifischen Massenbilanzwerte (Spalte Bilanz) farblich unterlegt. Negative Werte (in Rottönen) entsprechen einem Massenverlust, positive (mit Blautönen unterlegt) dagegen einem Massengewinn des Gletschers. Es zeigt sich, dass der Gletscher - nach einer schwach ausgeprägten Wachstumsphase Mitte der 70er Jahre - seit Anfang der 80er Jahre kontinuierlich an Masse verloren hat. Außerdem ist eine deutliche Zunahme von Massenhaushaltsjahren mit extremen Massenverlusten (mehr als 1 m Wasseräquivalent gemittelt über die gesamte Gletscherfläche) innerhalb der letzten Dekade zu beobachten.
Gesamtfläche des Gletschers
Die Ausdehnung des Gletscherareals ist eine wichtige Bezugsgröße zur Beurteilung des Massenhaushalts. Ihre Änderung muss aber nicht zwangsläufig direkt an die Massenänderungen gekoppelt sein. Da Eismassen auch dynamisch verfrachtet werden, wirkt sich eine Zu- oder Abnahme der Eismasse nicht unmittelbar auf die Fläche aus. Dennoch kommt es vor allem in den Randgebieten im Laufe der Zeit zu Änderungen der Gletschergrenzen.
Die in der Tabelle angegebene Ausdehnung der Gletscherfläche ist jedoch nicht immer die aktuelle Fläche zum Ende des Haushaltsjahres, sondern die zum Zeitpunkt der kartografischen Aufnahme, welche die Basis der Analyse bildet. Dieser sogenannte Schichtlinienplan kann nicht jedes Jahr aktualisiert werden, da dazu Luftbilder vorliegen müssen.
Höhenlage der Gleichgewichtslinie (ELA)
Die Höhenlage der Gleichgewichtslinie (equilibrium line altitude, ELA) ist eine hypothetische Größe, welche anhand der Höhenverteilung der spezifischen Nettobilanz bestimmt wird. Es ist diejenige Höhenlage, in der die Massenbilanz im betrachteten Haushaltsjahr ausgeglichen ist bzw. das Vorzeichen wechselt. Durch diese Höhenlinie wird der Gletscher in zwei Bereiche unterteilt: oberhalb liegen die Areale mit einem Nettogewinn an Masse, unterhalb davon herrscht in der Bilanz Massenverlust. Die mittlere Höhe der Gleichgewichtslinie liegt am Vernagtferner bei 3066 m, was gleichzeitig dem Höhenbereich entspricht, in dem die Gletscherfläche die größte Ausdehnung hat. Liegt die aktuelle Gleichgewichtslinie oberhalb des langjährigen Mittelwertes, dann ist die totale Massenbilanz des Gletschers negativ. Liegt sie dagegen niedriger, ist ein Massenzuwachs festzustellen. Da es sich um eine hypothetische Kenngröße handelt, kann die ELA in Extremfällen sogar oberhalb der Kämme liegen (z.B. 1993/94 und 2002/2003). In diesen Jahren verliert der Gletscher über seine gesamte Höhenerstreckung an Masse.
AAR (Accumulation Area Ratio)
AAR steht für accumulation area ratio und gibt das Verhältnis der Fläche des Akkumulationsgebietes zur Gesamtfläche in Prozent an. Als Faustregel gilt, dass der Massenhaushalt eines Gletschers dann ausgeglichen ist, wenn das Verhältnis der Größe des Akkumulationsgebietes zu dem des Ablationsgebietes etwa 2:1 beträgt. Dieser Fall entspricht einer AAR von 66%. Für größere Werte ist eine Massenzunahme, für kleinere eine Massenabnahme zu erwarten.